Ein Kunstobjekt zum 80. Geburtstag

Sie ist sowohl Kunst am Bau als auch Geschenk. An zwei Gebäudefassaden eines Doppeleinfamilienhauses in Rain ist seit letzter Woche Poesie aufgetragen. Geschaffen von Andreas Meier anlässlich des runden Geburtstags seiner Gattin Lydia.

 

Daniel Schmuki und Werner Rolli

Das private Kunstobjekt, das von Andreas Meier initiiert und realisiert wurde, zeigt sich in Form von zwei Gedichten, sogenannten Poems. Sie wurden anlässlich einer Fassadenerneuerung eines Doppeleinfamilienhauses am Pilatusblick geschaffen. Motivation hierzu war der kürzlich gefeierte 80. Geburtstag von Lydia Meier-Bernasconi. Ihr Ehemann Andreas Meier hat ihr zu diesem runden Geburtstag die beiden Poems «Hort Fund» und «Prime Tower» geschenkt. Für die grössere Präsentation erwies sich die Architektur des Doppeleinfamilienhauses als besonders geeignet; beide Rückwände boten ausreichend Platz für die beiden siebenzeiligen Poems.

Das Gedicht «Prime Tower» ist in Ziffern verfasst, «Hort Fund» in Buchstaben. Für Andreas Meier spielt dies keine Rolle: «Ich mache keinen Unterschied zwischen einem Buchstaben, einer Zahl oder einem Symbol, da ich als Computerfreak 50 Jahre in der Informatik geforscht habe», sagt er anlässlich der letztwöchigen Einweihung. Der gebürtige Basler bringt auch wissenschaftliche Berufserfahrung an der ETH Zürich und beim IBM-Forschungslabor im Silicon Valley in Kalifornien mit. Zuletzt war er als Hochschullehrer an der Universität Fribourg im Üechtland tätig und widmet sich seit seiner Emeritierung der Konkreten Poesie.

Primzahlen und Depots
Das Poem «Prime Tower» trägt den Primzahlen Rechnung, die bereits in der Antike entdeckt und verehrt wurden. Darin stuft Meier die Primzahlen 31, 331 bis zu 33 333 331 aufeinander. Die genaue Auslegung des Inhalts überlässt der Künstler dem jeweiligen Betrachter: «Jeder soll es nach seinem Gusto interpretieren.» Andreas Meier weiss, dass es dank eines Beweises des griechischen Mathematikers Euklid von Alexandria (um circa 300 Jahre vor Christus) unendlich viele Primzahlen gibt. Bereits die Wahl von sieben Zeilen stellt keinen Zufall dar, ist die Zahl Sieben doch eine Primzahl. Diese sind dadurch definiert, dass sie nur durch eins und sich selbst ganzzahlig teilbar sind. Mit dem Prime Tower in Zürich hat das Werk also keine direkte Verbindung, zählt dieser Turm doch 36 Stockwerke. Der Bezug zu einem Hochhaus lässt Meier hingegen durchaus gelten.

Das zweite Poem «Hort Fund» trägt laut dem Computerkünstler der Geschichtsschreibung Rechnung. Bei einem Hortfund respektive Depotfund handelt es sich in der Regel um einen geschlossenen Fund. Die Depots mit mehreren Kunstgegenständen oder Münzen wurden oft an einem geschickt gewählten Ort angelegt, um diese vor fremdem Zugriff zu schützen. Solche Depots sind von besonderem archäologischem Wert, da gleich mehrere Objekte über eine ganz bestimmte Zeit­epoche berichten können. Das Gedicht wurde durch den Informatiker Meier mit dem ChatGPT-Algorithmus auf seine Tauglichkeit überprüft.

Mit Folien, Pinsel und Farbe
Auf die Frage nach dem Copyright der beiden Poems gibt der Computerwissenschaftler eine klare Antwort: «Es gehört den Maschinen. Ich habe zwar die Algorithmen für die Transformation des Inputs zu einem Output programmiert, aber die Maschinen haben wirklich gearbeitet. Sie haben mächtig geschwitzt und mir unzählige Siebenzeiler für die beiden Poems präsentiert.»

Die optische Gestaltung der beiden Gedichte sowie auch die Folien zur Bemalung hat Julia Wigger von der Firma «ast beschriftet» aus Emmenbrücke hergestellt. Danach wurden die Poems durch Remo Wiss von «die malerei wiss» aus Rain kurz vor der Einweihung mit Pinsel und Farbe auf die Fassaden aufgetragen.

Musik als Leidenschaft
Andreas Meier hat sich bereits in jungen Jahren für die Mathematik begeistert. Im Gymnasium war diese streng logische Wissenschaft auch sein Lieblingsfach. Gleichzeitig belegte er als Freifach Musik, was wenig erstaunen mag, denn öfters sind Musiker auch Mathematiker, manchmal ohne es zu wissen. Beide Berufsgruppen bauen komplexe Strukturen aus Melodien und Harmonien, Takten und Tonarten. Denkt man sich in ihre Systematik hinein, so ist Musik eine Anordnung von Zahlenreihen, Zählweisen und proportionalen Verhältnissen. Der Student Meier wählte damals Musik als sein Studienfach und nicht etwa die Mathematik. Er erkannte sehr früh, dass er ohne Musik nicht leben konnte. Als Kind kam er zuerst in Kontakt mit einfacheren Instrumenten wie Trommel oder Blockflöte. Im Alter von zwölf Jahren blies er Horn. Ein Nachbar hörte sein Spiel und suchte zugleich einen Hornisten für sein Sextett. Dieses bestand aus einer Formation mit zwei Trompeten, zwei Posaunen und zwei Hörnern, die als Bass das Fundament des Spiels bildeten.

Während seiner Mittelschulzeit wechselte Andreas Meier im Freifach zum Fagott, sein Lehrer war aus Wien. Diese Stadt gilt als Hochburg der Musik, und der talentierte junge Andreas Meier zog bald in dieses Zentrum europäischer Kultur, um sich weiter in der Musikwissenschaft, den Instrumenten und ihren Klängen zu vertiefen. «Das war eine Protesthandlung, wie vieles bei mir, bevor ich meine Frau kennengelernt habe», sagt der Computerfreak schmunzelnd anlässlich des Einweihungsapéros in seinem Garten. Und fügt an: «Ich habe in Wien wahnsinnig viel gelernt. Im Hauptfach spielte ich Fagott, im Nebenfach Klavier. Vormittags war ich bei IBM und habe im Forschungslabor gearbeitet und meinen Unterhalt verdient, nachmittags an der Musikakademie und dies bis spät abends.» Es war damit auch sein Beleg, dass er selbstständig leben konnte. Es sei eine hervorragende Zeit gewesen, sein Vater stolz, dass er den Schritt getan hatte, seine Mutter hingegen musste den frühen Wegzug ihres Sohns mit Sorgenfalten ertragen.

Es war damit auch die Ablösung vom Elternhaus und das Finden der eigenen Identität. Meiers Vater Theo war Regierungsrat im Kanton Baselland, und so wurde Andreas regelmässig auf die Rolle des Sohns reduziert. «Wenn man Sohn oder Tochter von bekannten Eltern ist, dann hat man es nicht immer gut.» Aus Andreas Meier ist trotz Talent, Interesse und Leidenschaft kein berufsmässiger Musiker geworden. Weshalb? «Ich wollte mein Hobby nicht zum Beruf machen. Weil man dann oft Musik macht, um Geld zu verdienen. Das mag als Werkstudent okay sein, aber für mich sollte die Musik Leidenschaft bleiben.»

Seine Frau Lydia hat Andreas Meier übrigens auch beim Musizieren kennengelernt. «Wir spielten damals beide in einem Oktett und Lydia spielte Bratsche und sass mir gegenüber. Da hat es gefunkt.» Auf die Frage angesprochen, wie man eine Beziehung von über fünfzig Jahren mit einem Computerspezialisten ertragen kann, meint Lydia als ehemalige Sonderklassenlehrerin: «Bei mir stehen immer die Beziehung zwischen den Menschen im Vordergrund; bei Andreas erkannte ich früh, dass seine Berufung das Aufspüren von Beziehungen unter Zahlen und Symbolen ist – in seinem Jargon nennt er es Pattern Matching.»

Weitere Generative Kunst: Andreas Meier, wah wah – Grand Slam Lyrics, Pako Verlag, 124 Seiten, 2022.

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